Sie meinten Zivilisation
Sie vermuteten Freiheit
Und sahen die Grenzen nicht
Sie dachten an Teilen
Und wollten alles für sich
Sie redeten von Toleranz
Und bekämpften das Anderssein
Sie erwarteten Verschwiegenheit
Und lebten von Verrat
Sie wünschten sich Solidarität
Und ließen andere im Stich
Sie forderten Fairness
Und ergaunerten sich Vorteile
Sie suchten Sicherheit
Und mißbrauchten das Vertrauen
Sie wollten Frieden
Und kauften Raketen
Sie bestanden auf Ehrlichkeit
Und verschwiegen die Wahrheit
Sie predigten Freundschaft
Und hatten Angst vor Nähe
Sie redeten viel
Und keiner hörte zu
Sie glaubten an Demokratie
Und waren schon Teil der Diktatur
Sie waren verbittert
Und flüchteten in die Sucht
Sie spürten das Leben
Und waren schon lange Tod
Sie meinten es gut
Und brachen zahllose Seelen
Sie lobten ihre Gerechtigkeit
Und legitimierten die Todesstrafe
Sie planten für Morgen
Und zerstörten das Heute
Sie träumten von Veränderung
Und blieben doch immer die Selben
Sie dachten, sie wären allein
Und werden doch gemeinsam
zu Grunde gehen
Evelyn Bernhagen, Berlin, 2001
Mauerblümchen
Mauerblümchen
Brachten mich
Durch´s Leben
Gaben mir Kraft
Für neue Wege
Führten mich
Mit ihrem Licht
Durch diese
So dunkle Welt
Gaben mir Halt
Auf steinigen Wegen
Fingen mich auf
In stürzender Not
In endlose Schluchten
Der Depression
Und werden mir
Hoffnung geben
Auch den nächsten Tag
Im Rassismus
Zu überstehen
Evelyn Bernhagen, Berlin, 2001
Erkenntnis
. . . und zur Erkenntnis
gelangt nur der,
der Mut und Neugierde
besitzt
die einen treiben
immer Neues zu sehen,
erfahren und erkunden
zu wollen
Mauern können
nicht zu hart sein,
Blockaden
nicht zu verkeilt,
Zäune
nicht zu komplex
und Seen
nicht zu tief
Die Ideen
der eigenen Spontanität
werden einen leiten
und enden nie
Diese Reise
voller Neugierde
trotz vieler Rückschläge
wird weiter gehen
Neue Anläufe
und unentwegte Versuche
führen zur Klärung,
zu Neuentdeckungen
und Erkenntnissen
Antworten stellen sich ein
und öffnen Horizonte
im eignen ICH.
Evelyn Bernhagen, Berlin, 1997
Der Weg
Er führt an
hastenden Leuten vorbei
Kein Kontakt
Er schlängelt sich
um Hundedreck herum
Keine Tierwelt
Er geht Trepp auf
und Trepp ab
Keine Rast
Er verzweigt sich
in viele Richtungen
Keine Orientierung
Er führt vom Jetzt
ins Später
Keine Zeit
Er zwingt zum
Hindernislauf
Kein Entspannen
Er kreuzt
die Wege der Anderen
Kein Zusammenstoß
Er überwindet
tiefe Schluchten
Kein Absturz
Er zeigt
andere Wege auf
Eine Perspektive
Er führt
in andere Welten
die ich
noch nie gesehen habe . . .
Evelyn Bernhagen, Berlin, 1996
Rasseblumentod
Sag´s durch die Blume
Auch wenn die Pollen
die Nase reizen
Die Dornen
die Finger zerstechen
Die Blätter
schon welken
Die Blüten
zerpflückt
Du
Blutüberströmt
Der Rock zerrissen
Die Schuhe zu klein
Das Hemd zerschlissen
Überreiche den Stengel
Auch jenem Bengel
Der Dich gejagt
Und Dich nie gefragt
Wer Du wirklich bist
Sei ein braver Christ
Ein Edelmensch
Laß Dich hetzen
Demütigen
Diskriminieren
Dir die Kleidung zerfetzen
Sei ihm dankbar
für diese Tortur
Und überreiche ihm
bleib dabei stur
Den blutigen Halm
auch im Feuerqualm
Dieser Aufsteigend
von Deinem Hause
Du Niedersinkend
schwer getroffen
Und danke dem Rassisten
Für Deinen so zeitigen Tod
Du hattest ja doch nicht mehr
Genug Speise und Brot
Evelyn Bernhagen, Berlin, 2000
Relikt
Schwere Steine
Blockierte Straßen
Grenze von wo nach irgendwo
Graue Brocken
Verschließen Kontakte
Beenden Beziehungen
Vergessene Welt
Oder eigenes Paradies
Nur Fragen und keine Antworten
Nur Ferne und keine Nähe
Ein Kreischen
Ein Knall
Unbeschreibliches Krachen
Es zerbrach
Was Jahre trennte
Viele verängstigte
Sie rissen es nieder
Fast nur in Sekunden
Und hofften auf Gemeinsamkeiten
Doch es blieb
Die Trennung
Die Mißgunst
Ein flaues Gefühl
Im Magen
Es blieb eine Trennung
Zwischen Ost und West
Zwischen Gut und Böse
Zwischen Reich und Arm
Zwischen Richtig und Falsch
Zwischen Opfer und Täter
Zwischen Siegermacht und
Ohnmacht
Und daß nur wegen der Reisefreiheit
Oder war da noch was......
Evelyn Bernhagen, Berlin, 1999
Einfach nur leben
Ich wurde geboren
und kam ins Heim
Ich wurde 2 Jahre alt
und die Erzieherin verließ mich
Ich wurde 3 ½
und sollte eine Ehe retten
Ich wurde 5
und verteidigte meinen Bruder
Ich wurde 7 Jahre
und wurde eingeschult
Ich wurde 8
und war der Negerkuß
Ich wurde 9, 10, 11
und war der Bimbo mit Bastrock
Ich wurde Gesamtschülerin
und war der Negersklave aus „Roots“
Ich wurde Abiturientin
und floh nach Berlin
Ich wurde Wahlberlinerin
und sollte in den Urwald zurück
Ich suchte Freunde
und wurde im Stich gelassen
Ich suchte Anerkennung
und wurde verachtet
Ich wollte mich wehren
und wurde bestraft
Ich fand Freunde
die mich verstehen können
Ich fand meine Wut
und will mich rächen . . .
Evelyn Bernhagen, Berlin, 1999
Gruselige Blicke
Mienen
verschobene Visagen
verkrampftes Halten
der eigenen Taschen
Der Feind sitzt neben
vor und hinter Dir
Scheue Blicke
verstohlenes Aufsehen
ein unerlaubtes Blinzeln
kann unabsehbare Folgen haben
Der Feind hört,
sieht und riecht dich
überall
U- Bahn fahren in Feindesland
Angst vor fremden Menschen
Ekel vor Individualität
Die Furcht
vor der eigenen Kreativität
läßt uns alle erstarren . . .
Evelyn Bernhagen, Berlin, 1997
Gewohnheitstier
Wir pflegen
unsere Rituale
Wir zelebrieren
unsere Kulte
Oft nur bescheiden
häufig bis zur Penetranz
Wir wiegen auf
was andere tun
Wir vergessen das
was wir verkörpern
Eine Gewohnheit
die wir selber genießen
Bei anderen als Manko
sogar als Schwäche sehen
Es hat nur Sinn
bei uns selber
Des anderen Ritual
ist wertlos
oder gar eine Last
Wir verachten
und spucken auf sie
Auf die "Spießer"
und "Anpasser"
"Normalo" will keiner sein
Doch unsere Gewohnheit
ist der Widerspruch in sich
Die Ritualisierung
des Rituallosen
Die Zelebration
der Antizelebriertheit
Die Ablehnung von allem
was regelmäßig scheint
Doch das tun wir
mit voller Entschlossenheit
und mit regelmäßigen Ritualen
so daß es
zur Gewohnheit wird ! ! !
Evelyn Bernhagen, Berlin, 1997
Don Quichotte
Kampf gegen Windmühlenflügel
Immer erneut zu erklären
Plastisch zu machen
Was ist Rassismus
Wo liegt der Ursprung
Immer erneut zu vermitteln
Wie er sich äußert
Von wem Rassismus kommt
Wer ihn heute noch praktiziert
Immer erneut zu zeigen
Daß er manifestiert ist
In Deinem und meinem Kopf
Wie er Leben zerstört
Immer erneut zu ertragen
Daß nicht verstanden wird
Ich gegen Rechtfertigung ankämpfe
Nachher in der Rolle der Täterin
Ich bin den latenten Rassisten
Mal wieder zu nahe getreten
Und liege nun krank
Vor Schmerz im Bett
Evelyn Bernhagen, Berlin, 2001